an dieser Stelle will ich dann doch meine review von kabelblume hier reinstellen... meine erfahrungen mit der neuen platte kreuzen sich mit verschiedenen anderen hier:

Im Prinzip ist es schwer eine Review über ein Album namens „In Rainbows“ zu verfassen, ohne Schlagwörter wie Farben, Regen, Wolken, Regenbögen und Wetterumbrüche zu gebrauchen. Es ist auch nicht sehr leicht ein Album der englischen Band Radiohead zu bewerten.

Wieder einmal veröffentlichen sie ein Album, welches mehr als Worte benötigt, um den Klang, die Stimmung, die Intention, die Arbeitsweise und die Songs zu erklären. Ich will es trotzdem versuchen.

Ich habe in der Vergangenheit ein Interview gelesen, in dem eines der Bandmitglieder behauptete, ihre Alben wären immer in Perioden zu verstehen, wobei eine Periode exakt drei Alben umfasst. Es gibt, so würde ich es nun benennen, die junge Phase, in der die Band wuchert und aufwächst. Auf „OK Computer“ fanden Radiohead erstmals ihre Bestimmung, rückten aber in der zweiten Phase mit „Kid A“ sogleich davon ab, weil sie erkannten, dass Fortsetzungen zu Release Nummer 3 nur Stillstand bedeuten.

Harte Grabenkämpfe innerhalb der Band und Gerangel um Kompetenzen führten sie an den Rand ihrer Existenz und bewahrten so gleichzeitig Werte, wie Zielstrebigkeit, Zusammenhalt und Eigenständigkeit. Ab „Kid A“ wirkte die Band ausgeglichener als jemals zuvor. Diverse Vaterschaften relativierten die Privatsphäre und halfen ihnen über die vermeintlich existenzielle Übermenschlichkeit hinweg, die ihnen durch Medien und Fans eingetrichtert wurde.

Technik und politische Fortbildung prägten die zweite Phase und mit „Hail To The Thief“ ließ sich die Band zu einem politischen Statement verführen, welches Teile der Fanschar fast an die aufdringliche politische Erziehung eines U2schen Bono erinnerte.

Musikalisch schloss Phase zwei mit einem Querschnitt aus allen Vorwerken. Technik wurde auf ein zeitgenössisches Niveau reduziert, Gitarren feierten eine vermeintliche Renaissance. Der Abschlusstitel dieser Periode, „A Wolf At The Door“, war eine Referenz an die Beatles, die in Radioheads Werken immer wieder auftauchen. In diesem Lied ist es „Because“, bei „Karma Police“ „Sexy Sadie“, in „No Surprises“ tauchen Spuren des Irren auf dem Hügel auf und die Diskussionen inwieweit „Paranoid Android“ bei „Happiness Is A Warm Gun“ nachgesehen hat, wie ein Lied aus verschiedensten Bruchstücken ein Ganzes ergeben kann, sind immer noch nicht befriedigend zu einem Ende geführt worden.

Die Beatles tauchen in dieser Review über das neue Werk „In Rainbows“ auf, weil es seit ihnen und ihrer Verweigerung live zu spielen und sich in die Phase der Experimente zu begeben, sich keine andere Band mehr erlaubte, sämtliche Konventionen des Geschäfts, epochale Trends oder Vorgaben Zweiter oder Dritter für sich auszuschalten. Radiohead haben sich ihre Unabhängigkeit erarbeitet. Sie machen einfach - getrieben durch ihren inneren Frieden - das, was sie wollen.
Die neue Platte ist kein harter Cut, aber auch kein Handschlag zu Phase zwei.

Dies ist ein Werk, welches deutlich wie nie die Fähigkeiten der Individuen in der Band zur Schau stellt. Dabei ist einmal mehr Jonny Greenwood, der vordergründig als Gitarrist wahrgenommen wird, Triebfeder von Arrangements und Struktur, sowie technischer Perfektion. Technik im wahrhaftigen Sinne von Elektronik. Er verkörpert in sich die Extreme. Er beherrscht die klassische Musik und weiß aus den modernsten Maschinen alles und mehr rauszuholen. Songs wie „Videotape“ werden von der Technik dominiert, ohne dass es zunächst auffällt, weil das Klavier, welches in schlichtesten Akkorden verharrt, seinen Rumpfdienst verrichtet. Da drüber ein ruhiger Gesang, in sich gekehrt und fromm, der aus dem Hinterhalt von zerschnippelten Drums überzogen wird.

Über Details der zehn neuen Lieder zu schreiben ist insofern etwas müßig, als dass es schlicht schwer ist, nach zwei Tagen intensivstem Hören ein abschließendes Urteil zu fällen. Zu sehr sind die Songs von unterschiedlichsten Parametern bestimmt. Da geht es über deutliche Erinnerungen an die Gelassenheit spendenden Morcheeba in „Reckoner“ zu (da sind sie wieder) den Beatles in „Faust Arp“. Zwei Minuten feinstes Songwriting und McCartneysche Kranzniederlegungen zum Gedenken an den Pop-Barock. Weiter zu „House Of Cards“, welches meiner Freundin regelmäßig eine Erinnerung an “More Than Words” von Extreme abnötigt. Ich höre in diesem Lied sowohl den in Musik verwandelten Kniefall vor Neil Young als auch, jetzt nicht zusammenzucken, „The Lion Sleeps Tonight“.

Radiohead lösen sich aus der Zeit, sie erinnern mich bei „Bodysnatchers“ gesangsmelodiös an „Holo Humpin’ Slobo Babe“ der seltsamen Whale, während die Musik orgastisch an die letzten Takte von „Talk Show Host“ erinnert. “Bodysnatchers” soll auf “In Rainbows” das einzige Lied bleiben, in dem der Gitarrenverzerrer rotzen darf.

Ansonsten eine Auferstehung der Akustik. „Jigsaw Falling Into Place“ wird zum schnellsten Moment seit „Anyone Can Play Guitar“ und beweist, dass auch mit Akustikgitarren gerockt werden kann. Ich fühle mich außerdem an Bloc Partys „Luno“ erinnert.

Das Album sollte nicht mit irgendwelchen Erwartungen gehört werden. Zu sehr wurde ich anfangs durch die Streicherteppiche erschlagen, welche mir beim 20. Mal Zuhören schon nicht mehr auffallen. Detailverliebtheit an allen Ecken und Enden. Jedes Übereinanderlegen und Verschachteln von Gesängen, Gitarren, Streichern, etc. und jede Technikspielerei macht Sinn. Keine Stelle auf “In Rainbows” wirkt überladen.

Ich halte es für ein kompositorisches Wunder, dass alles in sich stimmig ist. Klangliche und durchgeplante Perfektion ohne dabei kalt zu sein. Kälte wird schon alleine durch Thom Yorkes Stimme verhindert, die sich im Falsett, in größter Wut oder auch in besinnlicher Ruhe nach Belieben beweist. Gesanglich das Beste, was er jemals leistete.

Der Rhythmus wird durch das Schlagzeug in Takte geführt, die man kaum kannte, aber es klingt immer noch zugänglich. Ein Ergebnis von vier Jahren Akribie, von verantwortungsbewusstem Arbeiten. Sicherlich mussten erst 17 Jahre Bandgeschichte vergehen, um sich diese Freiheiten gönnen zu können, aber es bedarf auch großer Köpfe der Musik, um zu solchen Ergebnissen zu kommen.

Stichwort „Freiheit“: Ganz bewusst wird an dieser Stelle kein Wort über die Art des Releases verloren, warum der Hörer selbst entscheidet, wie viel ihm Musik wert ist und ob die Bitzahl der MP3s angemessen ist. Hier kochen Internetforen über, während die Band selbst im Onlinebereich des „Rolling Stone“ Stellung bezieht.

Zum Schluss möchte ich meinen momentanen Favoriten von „In Rainbows“ nennen. Es ist schwer sich nach zwei Tagen auf ein Lied festzulegen, weil kein einzelner Song des Albums, welches sich diese Bezeichnung über alle Maßen verdient, herausragt. Ich entscheide mich nun aber zunächst für „Nude“, der inzwischen über zehn Jahre alt ist und nun endlich veröffentlicht wurde. Die Band versuchte sich an verschiedensten Interpretationen, präsentiert nun aber diese Version, die mich zutiefst berührt. Am besten selbst hören!

Dies ist also der Beginn der dritten Phase… ein fast unbeschreiblicher Start.