Hm... Ich glaub eigentlich nicht, dass die Analyse und Schilderung der Gesellschaft Hauptintention von Proust ist. Es ist Teil des ganzen und gehört so auch geschildert, weil es eben das Umfeld ist, in dem sich die Liebe Swanns abspielt, aber wenn du mich fragst ist es als solches mehr oder weniger austauschbar. Vielleicht argumentier ich da aber auch mehr von der ganzen Recherche aus, wenn man Eine Liebe Swanns für sich liest, bekommt man wahrscheinlich einen anderen Eindruck, als wenn man es im Kontext liest. So z.B. von wegen allwissender Erzähler: Den gibt es in der Recherche so ja eigentlich nicht; ist auch eigentlich ein Bruch in der Logik, dass der Ich-Erzähler das alles wissen soll, was er in der Liebe Swanns erzählt.
Jedenfalls... glaub ich nicht, dass es diesem darum geht, zu ironisieren, denn das setzt ja vorraus, dass man etwas erst einmal zu verstehen und dann darüber zu stehen glaubt. Ich empfinde das aber ganz im Sinne des Titels als eine Suche: Diese Gesellschaft, das aristokratische und irgendwie snobistische Umfeld mit ihren Egomanen und Macken und Fehlern etc. hat sich Marcel nicht ausgesucht, er ist da nunmal geboren, hat da gelebt, und irgendwo mitten darin gibt es irgendetwas unsagbar kostbares, das er mühsam, Stück für Stück, herauszuschälen sucht - nicht mit platter Poesie, sondern mit penibel genauer Beobachtung und Beschreibung. Dass er dabei rücksichtslos die Irrationalitäten, Verrücktheiten und verschiedenen Arten des Selbstbetrugs aufdeckt, mag mancher für bissig oder ironisch halten, ich finde es macht diesen Kern, um den es geht, nur glaubhafter und schöner.
Also ich glaub es geht gar nicht darum, über irgendeinen gesellschaftlichen Tellerand zu blicken, genausowenig wie es später wirklich um die politische Auseinandersetzung der Dreyfus-Affäre geht - das würde den Blick nur unnötig ablenken, denn das, was "gesucht wird", worum es geht, spielt sich nunmal in dieser Blase ab. Wenn das nicht mehr der Fall wird, werden auch andere Schichten miteinbezogen: Im zweiten Band eine Bande vulgärer Mädchen, im Dritten eine Hure.

Bin natürlich etwas im Nachteil, weil ich auf Französisch lese, und so erstens vom Klang der Sprache sicher hin und wieder verführt werde und zweitens andere Ebenen wie Ironie etc. schwerer erkennen kann - auch nicht immer alles verstehen kann.