Quelle: 01.10.2012: Zerbrechlich vor dem LED-Schirm (neues-deutschland.de)




Von André de Vos 01.10.2012 / Berlin / Brandenburg
Zerbrechlich vor dem LED-Schirm
Radiohead boten eine Show der audiovisuellen Superlative
Radiohead 2012 in Berlin, das verspricht zwei ausverkaufte Konzerte in der »Wuhlheide« mit je 18 000 Zuschauern, das heißt aber auch am Samstag und Sonntag die zwei Nachholkonzerte, die als Exklusivshows wegen eines Bühneneinsturzes in Toronto im Juni mit einem Toten und drei Verletzten verschoben werden mussten.
Radiohead 2012, das bedeutet sowohl optisch als auch visuell ein Konzert der Superlative. Es mag müßig sein, Radiohead als die »beste Band der Welt« zu apostrophieren - davon gibt es viele - doch das Zusammenspiel von Musik und Licht, Animation, Illustration und Informationsübermittlung per QR-Code am Samstag war einzigartig und setzte Maßstäbe.
So war die gesamte Rückseite der Bühne ein einziger gigantischer LED-Bildschirm, auf dem zusätzlich 18 weitere je vier Quadratmeter große Bildschirme platziert waren, die die sechs Musiker während des Spiels aus den unterschiedlichsten Kameraperspektiven zeigten. Darunter erschien »Radiohead« als Band optisch relativ klein und zerbrechlich, konnte sich aber musikalisch gleich von den ersten Takten von »Lotus Flower« freispielen. Das bewies, dass »Radiohead« zu keinem Zeitpunkt gewillt waren, sich durch überbordende Technik in den Hintergrund drücken zu lassen. Die Setliste umfasste vornehmlich Songs aus den letzten beiden Alben »In Rainbows« und »King of Limbs«, das heißt, musikalisch orientierte sich die Band Richtung Postrock.
Ihr Sound hatte mit zwei Schlagzeugern - Portishead-Drummer Clive Deamer stieß für einige Konzerte zur Band - eine rhythmisch hyperkomplexe Grundstruktur, auf der die restlichen Musiker ihre Instrumente platzierten. Dabei wechselte Bassist Colin Greenbaum zum Basssynthesizer und erzeugte durchdringende Tiefbässe, sein Bruder Johnny wechselte als Gitarrist zu Keyboard oder Drums oder erzeugte zusätzliche Sounds und Samples; beim Stück »There. There« wurde ein hypnotischer Trommelsound mit gleich vier Schlagzeugern erzeugt, wobei Gitarrist Ed O’ Brien sich ein paar Tom-Toms schnappte. Sänger Thom York wechselte zwischen Klavier und Gitarre, sangt mit Kopfstimme bewegende Balladen oder tanzte singend wie ein Derwisch über die Bühne. Zu jedem Song gab es die passenden optischen Animationen, die punkt- und taktgenau die Lieder illustrierten und den guten, alten Scheinwerfer überflüssig machten. Die Zuhörer, die des Öfteren die Lieder auswendig mitsangen, wurden durch die Kombination des perfekten Sounds mit dieser einzigartigen Lightshow geradezu hypnotisiert. Im letzten Drittel des Sets verschob sich die Musik von Radiohead etwas stärker in Richtung ihrer alten Alben, wobei es neben »Paranoid Android«, »Everything In It’s Right Place« und »Idiotheque« der Song »Planet Telex« von »The Bends« aus 1995 in die Setlist schaffte. Das ließ die Stimmung so hochkochen, dass die Fans die gut gelaunte Band zu drei Zugabeblöcken bewegen konnte, bei denen auch neue, brillante, aber nur auf Vinyl-Maxi und DVD erhältliche Lieder wie »Supercollider« und »Staircase« enthalten waren.
Gegenüber dieser Gruppe wirkte die Vorband Caribou etwas deplatziert. So, wie die vier Musiker auf der Riesenbühne schüchtern im kleinsten Kreis im Gegenlicht mit ihren elektronischen Dance-Beats auf ihren Instrumenten schraubten und klöppelten, schien es, als ob sie in einem Club besser aufgehoben wären, als in diesem riesigen Rund. Sie setzen nicht ansatzweise Akzente oder Ausrufezeichen, selbst »Melody Day« wurde nicht gespielt, weil der Song, die gleichbleibende Struktur gesprengt hätte. Doch egal, Radiohead machten alles wett. Nicht wenige selbst der alteingesessenen Fans dürften einen bleibenden Eindruck mit nach Hause genommen haben.