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Thema: Presseschau

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    Quelle: Radiohead im Konzert: Der Sound des Internet-Zeitalters | Kultur | ZEIT ONLINE


    RADIOHEAD IM KONZERT
    Der Sound des Internet-Zeitalters
    Lichtblitze zerschreddern die Szenerie. Es pluckert, klackert und tackert, während sich Radiohead beim Konzert in Berlin tief in die Details ihres Zauberklangs versenken.
    Dass sie durchkommen mit dieser Musik, mit diesem Pathos des Stillstands. Dass sie ihren erratischen Zauber in riesigen Arenen aufführen können und gesehen werden wollen von tausenden von Menschen, die dann selbst in eine Art Stille gezwungen werden. Weil auf der Bühne nichts passiert. Dass Radiohead nicht einen Song geschrieben haben, den eine halbwegs informierte Menschenmenge nachsingen könnte. Und das seit Jahren schon. Dass die fünf ehemaligen Kunststudenten trotzdem Maßstäbe setzen, ist einfach nur rätselhaft. Ist Zauber da das richtige Wort?
    Oh, je. Radiohead. Seit die Briten um den Sänger Thom Yorke keine Rockband mehr sind, sondern hochkomplexe digitale Architekturen hinstellen, oftmals immerhin noch auf den Fundamenten dessen, was von der Rockmusik übrig blieb – nebulös verzerrte E-Gitarren – arbeiten sie an einer Art von Verschwinden. Das Rockstar-Pathos hat ihnen sowieso nie behagt, diese Überheblichkeit, mit der sich die psychisch Labilen in eine unantastbare Persona verwandeln. "I will sink and I will disappear / I will slip into the groove and cut me up and cut me up", singt Thom Yorke zum Auftakt des ersten von zwei Konzerten in der Berliner Wuhlheide am Samstag. Im Groove aufgelöst werden wie in einem Säurebad, zerschnitten werden von den Beats. Der Sänger, mit Vollbart und zum Zopf gebundenen Haaren, hat die Augen geschlossen, seine Stimme von so profanen Dingen wie Silben und Vokalen gelöst. Sie schwebt über allem, während der Rhythmus fleißig zerhackt wird. Neben dem Drummer Phil Selway setzt noch ein zweiter Schlagzeuger wilde Akzente, der Trip-Hop-Groover Clive Deamer. Und schließlich sorgt auch der Keyboarder Ed O’Brien am Bühnenrand für reichlich Unruhe an einem kleinen Drumset. Hat dieses Bemühen um den hohen Ton in einer derart verwirrenden Welt mit Schmerz zu tun?
    Es ist unbegreiflich, woher Radiohead ihre Einfälle nehmen und was der Ausgangspunkt für Songs gewesen sein mag, die mit elektronischem Diodenpuckern einsetzen, von Signalen überschwemmt werden und schließlich zerbröseln. Man denkt nur: Wenn es eine Band gibt, die dem in Fragmente zersprungenen Internet-Zeitalter einen Klangbild gibt, dann ist es diese hier.
    Wir sind Pixel
    In den Bühnenhimmel hat sie quadratische LED-Flächen gehängt, ein blinkendes Mosaik aus Kameraperspektiven, die die Musiker einfangen. Sie setzen ein Ganzes zusammen, in dem nichts zusammenpasst. Wobei der Höhepunkt dieser optischen Täuschung bei Staircase erreicht ist. Das Stück ist Ausschussware. Während der Sessions zu ihrem jüngsten Album The King Of Limbs entstanden, fand es auf dem Album selbst keinen Platz mehr. Vermutlich, weil es dann doch ein bisschen zu deutlich mit Afropop-Anleihen spielt. Nun aber, unter dem blassen, kalten Mond der Berliner Spätsommernacht, zerschreddern Lichtblitze die Bühnenszenerie, und die Band scheint sich selbst in den Pixeln der LED-Kulisse aufzulösen.
    Das ist grandios gemacht. Aber was will es uns sagen? Dass die Akribie, mit der sich Radiohead in die Details versenken, ein sinnvoller Ausweg aus der Überforderung ist, eine Chance den Überblick zu behalten: Bleibt bei den kleinen Dingen, sie ergeben am Ende ein Großes.
    Das ist zumindest der Eindruck, den die eineinhalbstündige Messe dieser englischen Missionare der Ernsthaftigkeit hinterlässt. Mag auch nicht alles groß gewesen sein an diesem Abend – die Pausen etwa, die abrupten Brüche und durch Umbauten aufgenötigten Durchhänger, die mitunter harten Stimmungswechsel –, so erzeugen Radiohead doch eine ihr gesamtes neueres Werk überwölbende meditative Unruhe. Im Zentrum stehen dabei die 2011 auf King Of Limbs veröffentlichten Songs. Mit ihnen haben sich Radiohead einen weiteren Freiheitsgrad verschafft. Die Luftigkeit des Cool-Jazz verschmilzt in Bloom und Separator mit den Bliep- und Kratzgeräuschen der Maschinen.
    Kontrollverlust oder Kunst?
    Das Ungefähre, Vage, das Unterdeterminierte – es ist entweder ein Zeichen dafür, die Kontrolle über seine Mittel verloren zu haben, oder für große Kunst. Im Rolling Stone hat Musikerkollege Dave Matthews über Radiohead geschrieben, dass es die "Charakterstärke in ihrer Musik" sei, die sich der Kontrolle der Musiker entzieht. Vielleicht ist, dass die Musik auf ihre eigene, unentschlüsselbare Weise klüger ist als ihre Macher, auch der Grund, sich in ihrer Gegenwart mit so wenig zufrieden zu geben. Und ohne die aufmunternden Gesten eines Frontmanns auszukommen, der einem sagt, dass es richtig ist, genau jetzt genau an diesem Ort zu sein.
    Man denkt ja immer, dass Musik, die nicht fürs Publikum gemacht ist, sich gegen das Publikum wendet. Aber das ist ein Irrtum, den Radiohead korrigieren. Und es ist herrlich, eines Besseren belehrt zu werden an diesem klaren, kühlen Abend, der einen fühlen lässt, dass bald der Frost kommt.

  2. #2
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    Quelle: Radiohead Konzert in Berlin: Thom Yorke kann nicht tanzen | Kultur - Frankfurter Rundschau


    RADIOHEAD KONZERT IN BERLIN
    Thom Yorke kann nicht tanzen
    Von JENS BALZER


    Und er kann auch nicht auflegen: Radiohead spielten in der Wuhlheide und danach legte Thom Yorke noch im Stattbad Wedding auf.
    Eine der bewunderungswürdigsten und tollsten, tanzbarsten und zugleich intelligentesten Gruppen des gegenwärtigen Pop hat am Sonnabend in der Berliner Freilichtbühne Wuhlheide ein hervorragendes Konzert gegeben: Das kanadische Quartett Caribou um den beatbastelnden Logiker und Mathematiker Dan Snaith beglückte uns ein weiteres Mal mit seinen gleichermaßen polyrhythmisch verzwirbelten wie auch im rechten Moment massenbegeisternd voll auf die Zwölf schlagenden Indierock-House-Disco-Hits.
    Über zwei Jahre sind seit der letzten Caribou-Platte „Swim“ vergangen; doch haben deren glänzendste Stücke wie „Kaili“, „Sun“ oder „Odessa“ seither nichts von ihrer musikalischen Kraft eingebüßt. Zumal Caribou sie bei jedem Konzert wieder in neuen Varianten präsentieren: Diesmal wurde etwa „Odessa“ zunächst in einem Percussion-Duett zwischen dem Schlagzeuger Brad Weber und dem zwischen elektronischen Geräten und Drums umherhuschenden Dan Snaith aufgelöst, um schließlich mit schwer verhallten und sich verlangsamenden Beats wie ein düsterer Industrial-Track zum Stillstand zu kommen. Das im Original sommerneblig diffuse „Sun“ wiederum entfaltete sich am Ende des Auftritts zu einem geradezu epischen Techno-Stück.
    Ein wunderbares Konzert, das wir nicht zuletzt der britischen Progressive-Rock-Gruppe Radiohead zu verdanken haben; sie hat sich Caribou nämlich für ihre laufende Tournee als Vorgruppe ausgewählt. Gut! Zumal man zurecht finden kann, dass Caribou das alte Radiohead-Projekt der Versöhnung von Indierock und elektronisch verfitzelten Beats, von klassischen Songdramaturgien und seriell sich entfaltenden Tanzmusikstücken, von Avantgarde und Mainstream-Pop heute weit virtuoser betreiben als Radiohead selbst. Dass der Auftritt von Caribou – wie viele Hörer an diesem Abend beklagten – unter seiner arg gedrosselten Lautstärke litt, lag übrigens einmal nicht an ruhebedürftigen Nachbarn. Der Grund war vielmehr eine Vorschrift des Radiohead-Managements, die besagte, dass die Vorgruppe nur maximal 70 Prozent des möglichen Pegels ausschöpfen darf.
    Lauter, aber wenig berührend
    Das Radiohead-Konzert, das im zweiten Teil des Abends auf den Caribou-Auftritt folgte, war dann entsprechend lauter. Es bestand im wesentlichen aus Liedern der letzten beiden Alben „The King of Limbs“ und „In Rainbows“ und begann mit dem Stück „Lotus Flower“, zu dem der neuerdings mit einem Pferdeschwanz nach Gitarrenlehrermanier frisierte Radiohead-Sänger Thom Yorke einen seiner wunderlichen Kasperletänze aufführte.
    Über der Bühne hingen drei Reihen zu je sechs großformatigen Monitoren, auf denen man die Köpfe der Bandmitglieder sah; später wurden auch ihre Schultern, Knie und Füße eingeblendet. So erschienen die Musiker gleichermaßen als Kollektiv im Zusammenspiel wie auch in der Konzentration auf das je eigene Instrument – was gut zum künstlerischen Gesamtkonzept von Radiohead passt. Auch klanglich legen sie ja viel Wert darauf, die einzelnen Instrumente gegeneinander klar zu konturieren; gerade im Konzert ist es immer wieder interessant anzuhören, wie sacht sich die melodischen Motive und gelegentlichen Soli etwa von Johnny Greenwood an der Gitarre aus dem steten Fluss der Geräusch- und Rhythmustexturen erheben.
    Interessant – aber auch wenig berührend, was auch an dem stetig darüberschwebenden und auf Dauer doch überaus lästigen Kopfstimmengewinsel von Thom Yorke liegen kann. Ein paar Stunden nach dem Ende des Freilichtkonzerts wurde das Caribou- und Radiohead-Programm dann noch ein paar Kilometer weiter nordwestlich fortgesetzt: Im Stattbad, einem Techno-Club im aktuellen Berliner Trendviertel Wedding, absolvierten Dan Snaith und Thom Yorke bis in den Sonntagmorgen ein gemeinsames DJ-Set.
    Snaith pflegt nach seinen Konzerten ja grundsätzlich noch mindestens fünf Stunden irgendwo aufzulegen; unter dem Namen Daphni hat er gerade ein Album mit minimalistischen Dance-Tracks herausgebracht An diesem Abend frönte er vor allem seiner neuen Leidenschaft für westafrikanische Musik und mixte in überaus eleganter Art etwa ghanaischen Highlife mit Techno-Beats. Wenn Thom Yorke an die Regler trat, sackte die Stimmung hingegen sofort zusammen: Ohne Übergänge, ohne Flow, ohne irgendein dramaturgisches Gespür warf er den konsternierten Tänzern zusammenhanglose Techno-Tracks vor die Füße.
    Schön, wenn ein Superstar auch mal Schwäche zeigt: Wie als Tänzer, so kann Thom Yorke auch als DJ seine Kunst noch entscheidend verbessern.

  3. #3
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    Quelle: Radiohead in Berlin: Die Schönheit des latent Gestörten - taz.de


    RADIOHEAD IN BERLIN
    Die Schönheit des latent Gestörten
    Das Stadionrockklischee bedienen und es gleichzeitig unterlaufen: Der Band Radiohead gelang beides in der Wuhlheide in Berlin.
    VON RENÉ HAMANN


    BERLIN taz | Eine erstaunliche Band. Eine Band, die im Grunde Clubmusik spielt: ein DJ, ein Laptop, fertig. Caribou lösen dieses einzelgängerische Prinzip in eine herkömmliche Bandstruktur auf; es gibt Schlagzeug, Bass, Gitarre, und selbst der Gesang des Masterminds Daniel Snaith verschwindet in der Menge. Caribou sind fantastisch. Und das stellten sie am Samstag open air in der Wuhlheide in Berlin eindrucksvoll unter Beweis.
    Aber Moment, sollte es hier nicht um etwas anderes gehen, nämlich um das Konzert von Radiohead? Keine Sorge, geht es auch. Aber um sich Radiohead zu nähern, ist dieser Umweg wichtig. Denn er erklärt auch, wie die Band Radiohead funktioniert. Radiohead sind nämlich inzwischen eine große Maschine, ein Unternehmen, das sich wendig zeigen muss, weil es nicht erstarren will.


    Und also immer wieder frischen Zulauf braucht, viel Input, um sich wieder neu zu erfinden. Daher spielen hier nicht irgendwelche zweitklassigen Epigonen im Vorprogramm. Nein, dass hier Caribou auftreten, die Psychedelik, Indierock und Disco so verbinden können wie vielleicht nur New Order in ihren guten Tagen (schon etwas her), das kommt nicht von ungefähr.
    Radiohead ist nach einer kurzen Phase, in der Grunge englisch interpretiert wurde, dazu übergegangen, das Stadionrockklischee gleichzeitig zu bedienen wie zu unterlaufen. Vielleicht ist das auch das Problem dieser Band: Sie verschwindet und bleibt doch. Sie zieht von einer großen zu einer kleinen Plattenfirma, sie veröffentlicht plötzlich hauptsächlich im Internet, sie wendet sich vom Rock ab und nervöser elektronischer Musik zu, sie schmeißt die Refrains raus und bleibt doch eingängig und wiedererkennbar.
    Elegien angesichts einer bösen, kalten Welt
    Am Samstagabend war all das zu hören, und all das hat funktioniert und war in einem emphatischen Sinn schön. Thom Yorke, ein erstaunlich kleiner Mann, der sich inzwischen für einen ungepflegten Bart und Pferdeschwanz entschieden hat, womit er ein wenig so aussieht wie der Typ, der immer noch in dieser Rockkneipe in der Vorstadt arbeitet, hatte sichtbar Spaß, nämlich an allem. An den Grooves, den treibenden Beats, aber auch an den Balladen, den Tränenziehern, den Elegien angesichts einer bösen, kalten Welt, wie auch an den Rocktrümmern im Programm.
    Seine Mitstreiter – allesamt noch in der Urformation seit über zwanzig Jahren plus einem Zusatzmusiker – machten mit. Was erstaunlich ist für eine Band, die sich mal als Rockband verstanden hat. Viel freie Zeit plötzlich für die Gitarristen, und Jonny Greenwood machte das Beste draus: Keyboards, ein Transistorradio (im überwältigenden „The National Anthem“ natürlich), ein drittes Schlagzeug – es gab nichts, was er nicht spielte.
    Der Bassist, eigentlich der heimliche Star des Abends, denn so basstragend klangen Radiohead wohl noch nie, verkrümelte sich lieber auf Höhe des Schlagzeugs. Sein Name: Colin Greenwood. Muss man auch erst mal wissen, denn wer außer den echten Fans weiß schon die Namen der anderen?
    Egal ob Klavier oder Gitarre
    Man kennt eben hauptsächlich Yorke. Der vom ersten Stück an klarmacht, warum das so ist: Er ist nicht nur ein herausragender Sänger mit einzigartiger Stimme. Sondern auch ein guter Musiker, egal ob ein Klavier für ihn herangeschoben wird oder er doch mal zur Gitarre greift.
    Radiohead spielten viel Neues, brachten in den richtigen Momenten alte Hits, haben insgesamt aber vielleicht etwas zu lange gespielt. Die Luft war raus und die tibetische Fahne am Schluss hätte auch nicht sein müssen. Tatsächlich hat man irgendwann vergessen können, wer die Vorband überhaupt war. Radiohead haben nämlich Eindruck gemacht.
    Und wie das ging? Sphärische Sounds, Mondgesang, die Schönheit des latent Gestörten, die Tragik, die in der Unzufriedenheit liegt. Das wird auch nicht alt. Jedenfalls nicht, solange die Maschine gefüttert wird. Mit dem richtigen Stoff.

  4. #4
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    Quelle: Radiohead in Berlin
    Musikexpress

    REVIEW
    RADIOHEAD IN BERLIN – FAST SCHON ZU GUT FÜR EIN KONZERT


    Radiohead spielten am 29. und 30. September 2012 in der Berliner Wuhlheide. Unsere Fotogalerie und unser Nachbericht von Oliver Götz


    Ein Open-Air Ende September, wer denkt sich denn so etwas aus? Nun, Die Umstände waren ja bekannt: Nach dem Unglück in Toronto, bei dem ein Crew-Mitglied von Radiohead getötet wurde, waren unter anderem auch die beiden Konzerte im Berliner Freizeit- und Erholungspark Wuhlheide, die zuerst im Juli stattfinden sollten, verschoben worden. Aber natürlich machen auch die verständlichsten Umstände einen schnell ins Einstellige abknickenden Abend im Altweibersommer, der der Stadt tagsüber noch bis an die 20 Grad gebracht hatte, nicht wärmer. Jaja, natürlich die Musik, zuvorderst Thom Yorke, wenn er am Klavier sitzt und Balladen wie den bis heute unfassbaren „Pyramid Song“ intoniert (die sich dann aber ja eben doch zumeist in Dramaturgien ambivalenterer Bauart auswachsen), die wärmt die Herzen. Und zu „Idioteque“, dem anerkannten Beat-wenn-nicht-sogar-Dance-Stück (von „Kid A“), kann man tanzen, das wärmt auch. Und es tanzen am Ende im ausverkauften Rund, über dem inzwischen klar und kalt die Sterne blitzen, auch viele Menschen, die sich sonst offensichtlich nicht öffentlich rhythmisch zu bewegen pflegen.
    Doch alles von Anfang an: Von der Verlegung des Konzerts profitieren zuerst einmal Daniel Snaiths Bandprojekt Caribou, das seine pumpende, fließende Musik in die bereits hereingebrochene Dunkelheit tauchen darf. Die erhöht nicht nur die Strahlkraft der Lightshow. Caribou profitieren außerdem von einem derart klar definierten, vom Bass regierten, aber nie dominierten Sound, der schließlich den ganzen Abend über so bleiben wird – fast schon zu gut für ein Livekonzert.
    In der Umbaupause darf man sich noch einmal näher mit dem Bühnenaufbau beschäftigen: Über den großzügig über die ganze Fläche verteilten Podesten mit dem für üblich ausgedehnten Instrumentarium experimentierfreudiger Kapellen hängen 18 Projektions-Quadrate in drei Reihen übereinander – schief und krumm, als wäre der kurze Spätsommersturm von vor zwei Stunden in diese Petersburger Hängung geraten. Wenn das Licht im Rund gleich ausgeht und das ganze wilde Licht auf der Bühne an, spielen diese Quadrate wie auch die ganze Farben und abstrakte Formen speiende Kulisse eine wichtige Rolle. Sie haben einen Auftritt zu illuminieren und illustrieren, den Radiohead selbst vor einem Festival-großen Auditorium wie diesem hier ganz bewusst nicht als Greatest-Hits-Show inszenieren – eher als das glatte Gegenteil. Auf der Setlist haben Stücke der letzten beiden Alben, „In Rainbows“ und „King Of Limbs“, das Übergewicht, neben Songs wie „The Daily Mail“ oder „Supercollider“, die irgendwann in der Zwischenzeit veröffentlicht wurden. Und eben auch darunter: kein Hit, keine Hook, sondern noch ein paar Teilchen mehr, aus das sich jeder seinen eigenen Radiohead zusammenpuzzlen darf.
    Die Projektions-Quadrate zeugen aus Perspektiven, die nicht den Popstars schmeicheln möchten, sondern aus Details des konzentrierten Musizierens ihre Spannung beziehen, vom Machen und Werden der Musik – und das ist eindrucksvoller und magischer, als es jede Pose des rauf und runter deklinierten Ikonen-Kanons des Pop sein könnte. Sie zeigen wackelnde Köpfe, Strähnen, Yorkes zappelnden Zopf, Blicke ins Irgendwo, Konzentration in allen Gesichtern, wirbelnde Sticks (gleich auf zwei Schlagzeugen), Hände, Tasten, Saiten, einen sehr großen Fuß auf einem sehr großen Effektgerät. TV-Studiobesuche von 70s-Krautrock-Größen wurden damals so abgefilmt und inszeniert, die Verfremdungen, Störungen und Einfärbungen des Gezeigten inklusive. Diese Bilder fesseln das ohnehin sehr dankbare, wie gegen die Kälte immer enthusiastischer werdende Publikum in der Wuhlheide auch an jene Stücke Radioheads, die immer noch ein wenig nach Werden, nach Suchen und Forschen klingen. Man begreift schließlich, was für ein Glücksfall diese Band gerade deswegen ist: Sie muss sich heute nicht mehr und auch nicht wieder (wie viele andere ins Stocken geratene Mehr-oder-weniger-Supergroups) damit beschäftigen, wie sie zu einem Meisterwerk wie „OK Computer“ kommen konnte. Und sie weiß auch, dass sie das experimentelle Wagnis von „Kid A“ kein zweites Mal eingehen kann. Du kannst keine Erfahrung und auch kein Gefühl wiederholen. Deshalb fährt diese Band weiter und fort.
    Wenn dann aber doch „Paranoid Android“ erklingt, so dermaßen zärtlich und zerbrechlich intoniert und umso harscher dort, wo es wehtun soll, ist der Jubel natürlich am größten. Und wenn das ambiente „Everything In Its Right Place“ in „Idioteque“ hinüber gleitet, obwohl die Band die Bühne schon verlassen hat, haut es einem auch einfach mal den Schalter raus. Was es bei Thom Yorke, dem kleinen, drahtigen Derwisch, wie er gerade den 90s-“Pop“-Bono und Jim Morrison gleichzeitig in den Boden tanzt, wohl schon vor ein paar Minuten getan hat. Oder vielleicht auch schon vor 20, 30 Jahren.

  5. #5
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    Quelle: Pixel-Pop fürs Hirn bei Radiohead in Berlin - Märkische Allgemeine - Nachrichten für das Land Brandenburg

    Pixel-Pop fürs Hirn bei Radiohead in Berlin

    Von Werner Herpell, dpa

    Berlin (dpa) - Die Erwartungen waren riesig, und sie wurden erfüllt: Radiohead, die vor rund 25 Jahren in der britischen Uni-Stadt Oxford gegründete Intellektuellen-Band, bot gut 15 000 Fans aus halb Europa in Berlin das erhoffte Mega-Konzerterlebnis.

    Selten wurde hochkomplexe Rock- und Popmusik mit Einflüssen aus Jazz, Elektronik und Avantgarde vor einem Riesenpublikum so virtuos zelebriert wie an diesem kühlen Samstagabend. Am Ende blieb aber auch der Eindruck, dass ein Radiohead-Auftritt eher Kopfsache als Herzensangelegenheit ist.

    Im Sommer hatten Radiohead ihre beiden Deutschland-Konzerte auf der Berliner Wuhlheide-Freilichtbühne wegen eines tödlichen Unfalls in Toronto abgesagen müssen - eine sehr menschliche, verständliche Trauergeste. Umso mehr waren die Nachholtermine an gleicher Stelle herbeigesehnt worden. Und die zum Sextett aufgestockte Band legte gleich ambitioniert los - mit "Lotus Flower" und "Bloom", zwei kompliziert verschachtelten, an Dubstep-Rhythmen ausgerichteten Songs des großartigen neuen Albums "The King Of Limbs". Damit war klargestellt, dass dies kein Konzert zum Mitsingen und Mitklatschen werden sollte.

    Radiohead verstanden sich allerdings auch nie als Hit- und Hymnen-Lieferanten. Ihre weltweite Popularität beruht auf Alben wie dem in den 90er Jahren bahnbrechenden "OK Computer" oder noch experimentelleren Werken wie "Kid A" und "Amnesiac". Zuletzt hatten sich Sänger Thom Yorke und seine Mitstreiter mit Internet-Veröffentlichungen von der Musikindustrie emanzipiert und waren damit angesichts der Branchenkrise zu Vorbildern für viele andere Popmusiker geworden. An die Spitze der Charts gelangten Radiohead dennoch immer wieder.

    Dass hier unabhängige, kluge Köpfe am Werk sind, merkte man auch dem Berliner Konzert an, das über zwei Stundne ging. Viele ruhige Lieder aus dem großen Radiohead-Fundus waren zu hören, etwa die Piano-Ballade "The Daily Mail", der berauschend schöne "Pyramid Song" oder "Give Up The Ghost" in einer Acapella-Version. Das präzise Doppel-Schlagzeugspiel von Phil Selway und dem neuen Drummer Clive Deamer war ein Genuss - wie auch die so formvollendeten wie uneitlen Gitarren-Riffs des längst zum gefragten Soundtrack-Komponisten aufgestiegenen Jonny Greenwood und seines Kollegen Ed O'Brien.

    Über all den zerhackten Grooves, schwebenden Melodiepartikeln und lässig eingestreuten Instrumental-Kabinettstückchen thronte Thom Yorkes faszinierende, polarisierende Chorknabenstimme. Auch der Live-Gesang wird bei Radiohead oft verfremdet und lässt das gelegentliche Wimmern und Greinen des Frontmannes noch fremdartiger klingen. Dass der Pop-Intellektuelle Yorke im Herzen ein Entertainer ist, bewies er mit einigen Derwisch-Tanzeinlagen am Bühnenrand und mehreren sehr britisch-freundlichen Kontaktaufnahmen zum Publikum.

    Die Massen hatten allerdings ohnehin genug zu tun mit dem Angebot auf gleich 18 Videoschirmen, die das komplette Bühnen-Geschehen und zugleich ein knallbunt-psychedelisches Pixel-Geflimmer abbildeten. Wohl nur eine Artrock-Band wie Radiohead kann anspruchsvolle Popmusik und kunstvolle Videoinstallationen so perfekt miteinander verknüpfen. Die Reaktion des teilweise weit angereisten Publikums klang denn auch erst am Schluss dieses Konzert-Abenteuers wirklich euphorisch - vorher wurde mehr gestaunt als gejubelt. Fan-Herz oder Fan-Hirn: Radiohead haben sich entschieden.

  6. #6
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    Quelle: 01.10.2012: Zerbrechlich vor dem LED-Schirm (neues-deutschland.de)




    Von André de Vos 01.10.2012 / Berlin / Brandenburg
    Zerbrechlich vor dem LED-Schirm
    Radiohead boten eine Show der audiovisuellen Superlative
    Radiohead 2012 in Berlin, das verspricht zwei ausverkaufte Konzerte in der »Wuhlheide« mit je 18 000 Zuschauern, das heißt aber auch am Samstag und Sonntag die zwei Nachholkonzerte, die als Exklusivshows wegen eines Bühneneinsturzes in Toronto im Juni mit einem Toten und drei Verletzten verschoben werden mussten.
    Radiohead 2012, das bedeutet sowohl optisch als auch visuell ein Konzert der Superlative. Es mag müßig sein, Radiohead als die »beste Band der Welt« zu apostrophieren - davon gibt es viele - doch das Zusammenspiel von Musik und Licht, Animation, Illustration und Informationsübermittlung per QR-Code am Samstag war einzigartig und setzte Maßstäbe.
    So war die gesamte Rückseite der Bühne ein einziger gigantischer LED-Bildschirm, auf dem zusätzlich 18 weitere je vier Quadratmeter große Bildschirme platziert waren, die die sechs Musiker während des Spiels aus den unterschiedlichsten Kameraperspektiven zeigten. Darunter erschien »Radiohead« als Band optisch relativ klein und zerbrechlich, konnte sich aber musikalisch gleich von den ersten Takten von »Lotus Flower« freispielen. Das bewies, dass »Radiohead« zu keinem Zeitpunkt gewillt waren, sich durch überbordende Technik in den Hintergrund drücken zu lassen. Die Setliste umfasste vornehmlich Songs aus den letzten beiden Alben »In Rainbows« und »King of Limbs«, das heißt, musikalisch orientierte sich die Band Richtung Postrock.
    Ihr Sound hatte mit zwei Schlagzeugern - Portishead-Drummer Clive Deamer stieß für einige Konzerte zur Band - eine rhythmisch hyperkomplexe Grundstruktur, auf der die restlichen Musiker ihre Instrumente platzierten. Dabei wechselte Bassist Colin Greenbaum zum Basssynthesizer und erzeugte durchdringende Tiefbässe, sein Bruder Johnny wechselte als Gitarrist zu Keyboard oder Drums oder erzeugte zusätzliche Sounds und Samples; beim Stück »There. There« wurde ein hypnotischer Trommelsound mit gleich vier Schlagzeugern erzeugt, wobei Gitarrist Ed O’ Brien sich ein paar Tom-Toms schnappte. Sänger Thom York wechselte zwischen Klavier und Gitarre, sangt mit Kopfstimme bewegende Balladen oder tanzte singend wie ein Derwisch über die Bühne. Zu jedem Song gab es die passenden optischen Animationen, die punkt- und taktgenau die Lieder illustrierten und den guten, alten Scheinwerfer überflüssig machten. Die Zuhörer, die des Öfteren die Lieder auswendig mitsangen, wurden durch die Kombination des perfekten Sounds mit dieser einzigartigen Lightshow geradezu hypnotisiert. Im letzten Drittel des Sets verschob sich die Musik von Radiohead etwas stärker in Richtung ihrer alten Alben, wobei es neben »Paranoid Android«, »Everything In It’s Right Place« und »Idiotheque« der Song »Planet Telex« von »The Bends« aus 1995 in die Setlist schaffte. Das ließ die Stimmung so hochkochen, dass die Fans die gut gelaunte Band zu drei Zugabeblöcken bewegen konnte, bei denen auch neue, brillante, aber nur auf Vinyl-Maxi und DVD erhältliche Lieder wie »Supercollider« und »Staircase« enthalten waren.
    Gegenüber dieser Gruppe wirkte die Vorband Caribou etwas deplatziert. So, wie die vier Musiker auf der Riesenbühne schüchtern im kleinsten Kreis im Gegenlicht mit ihren elektronischen Dance-Beats auf ihren Instrumenten schraubten und klöppelten, schien es, als ob sie in einem Club besser aufgehoben wären, als in diesem riesigen Rund. Sie setzen nicht ansatzweise Akzente oder Ausrufezeichen, selbst »Melody Day« wurde nicht gespielt, weil der Song, die gleichbleibende Struktur gesprengt hätte. Doch egal, Radiohead machten alles wett. Nicht wenige selbst der alteingesessenen Fans dürften einen bleibenden Eindruck mit nach Hause genommen haben.

  7. #7
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    Quelle: Das Geschwurbel von Radiohead - Nachrichten Print - WELT KOMPAKT - Berlin - DIE WELT

    Die Welt kompakt
    01.10.12
    Das Geschwurbel von Radiohead

    Wenn einer das Ende der Welt vertonen dürfte, dann die britische BandVon Frédéric Schwilden

    Titus mag die Band ja sehr, sagt jedenfalls die Mutter auf dem Weg zwischen Wuhlheide und S-Bahn-Station, die neben ihm steht. "Pablo Honey" legt er sich manchmal sogar selbst auf. Das würde widerlegen, dass Radiohead ausschließlich verkopfte Insektensammler anzieht. Titus ist sechs. Mit sechs kann man noch nicht verkopft sein.

    Weil vor einem Konzert der Band in Toronto die Bühne einstürzte und ein Mensch dabei sein Leben verlor, wurde die Tour verschoben. So stehen Radiohead nicht Anfang Juli, sondern Ende September an zwei Abenden auf der Bühne der Wuhlheide. Es ist schon dunkel, richtig finster, als Radiohead unter einem Höllenlärm die Bühne betreten. Sie spielen "Lotus Flower" von ihrem letzten Album "The King Of Limbs". Da hört man also ein Schlagzeug, ein Klatschen, irgendein Tingeln, den Bass, Ufo-Geräusche, Wasserplätschern, noch ein Schlagzeug, irgendwas Reibendes aus Metall, und was ganz Sonderbares, dass aber mehr so ein Bauchgefühl als ein Ton ist. Dem Ohr fällt es schwer, alle Geräusche zu einem Song zu arrangieren, deswegen bedarf es eigentlich langer Vorbereitung, die Musik der Briten hören zu können. Und wenn sich dann alle Einzelteile tonal verzahnen, Yorke singt mit ganz hoher Kopfstimme "So now I'll set you free/ I'll set you free", dann sieht man die vielen Menschen in der Wuhlheide gar nicht mehr. Man vergisst, dass man eigentlich nur eine kleine Ameise auf dem großen Hügel ist. Radiohead sind über die Jahre immer weiter weg gekommen vom Sound einer Rockband.
    Titus fragt sich bestimmt, was die da unten machen. Auf seiner Lieblingsplatte "Pablo Honey" bestand die Band noch aus Gitarrenschrammlern. Den Song "Creep" - neben The Verves "The Drugs Don't Work", vielleicht der einzige Song auf der Welt, bei dem jeder Mensch weinen und knutschen gleichzeitig will - spielen sie gar nicht mehr. "Anyone Can Play Guitar" fehlt genauso. Eigentlich spielen Radiohead wirklich alles außer die erste Platte eben. Wie der Sänger da mit dem Rücken zum Publikum sitzt, einfach sein Lied spielt und die Ameisen in der Dunkelheit zuschauen, wär das schon schwer in Ordnung, wenn's das gewesen wär. Licht aus. Tür zu. Goodbye.
    Wenn einer das Ende der Welt vertonen dürfte, es müssten Radiohead sein. Aber sie spielen ja noch. Und weil sie noch spielen, kann es gar nicht vorbei sein. "Paranoid Android". Spätestens jetzt sollten alle merken, dass Radiohead wirklich gut sind. Gerne sieht man über die, nennen wir es Klangforschungen zuvor, hinweg. Aber an einem Stück wie "Paranoid Android" kann ein jeder die Großartigkeit menschenmöglicher Musik bewundern.
    Am Ende tanzt Yorke wie ein Besessener zu "Idioteque", diesem elektronischen Epilepsieanfall, der alle Neuronen entlädt. Nach einem solchen Konzert ist es schön, kein Gröhlen zu hören, auf dem Weg zurück in die Wirklichkeit.

  8. #8
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    Quelle: Radiohead: Konzert in der Wuhlheide | Kultur&Leute - Berliner Kurier


    Radiohead
    Ein Abend voller Lieblingslieder

    BERLIN – Ein Abend voller Lieblingslieder, glückliche Bandmitglieder und noch mehr glückliche Fans in der Wuhlheide: Radiohead liebt man oder man lässt es bleiben.
    Für den Liebhaber des Sounds aus Gitarren, Klavier und elektronischem Klangbaukasten klingen die Lieder von Thom Yorke und seinen Kumpels zauberhaft, melancholisch-melodiös und kraftvoll.
    Gespielt wurden Songs des letzten Albums „King of Limbs“ bis zu den Anfängen von „Pablo Honey“. Einfach hinreißend. SAL





  9. #9
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  10. #10
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    Standard AW: Presseschau

    Quelle: Radiohead in Köln: Sie klingen immer noch nach Zukunft | Kultur - Kölner Stadt-Anzeiger

    RADIOHEAD IN KÖLN
    Sie klingen immer noch nach Zukunft

    In großer Umlaufbahn: Radiohead geben ihr erstes Kölner Konzert seit 15 Jahren - und entschädigen in der Lanxess-Arena für die lange Wartezeit Von Christian Bos

    Dizzy Gillespie wurde mal gefragt, wie seiner Meinung nach Musik in ferner Zukunft klänge. Nach einem Mann, der mitten im Urwald auf eine Trommel schlägt, antwortete der Jazz-Gigant. „There There“ von Radiohead klingt so, nach ferner Zukunft. Die beiden Gitarristen der Band, Ed O’Brien und Jonny Greenwood haben in der Kölner Lanxess-Arena ihre Instrumente beiseite gelegt und schlagen mit je zwei Stöcken pro Hand auf Standtrommeln ein, hinter ihnen treiben gleich noch zwei Schlagwerker den halb tribalistischen, halb maschinengleich fortschreitenden Beat vor sich her.

    Sänger Thom Yorke windet darum eine scheinbar simple Folkmelodie auf der Rhythmusgitarre, das muss der Dschungel sein. Doch nach ein paar Minuten greift Greenwood wieder zur Gitarre und ein stotternder Riff hebt den Song auf ein höheres Energieniveau. Am Ende schlagen die futuristischen Stammestrommeln noch ein paar Takte allein, Jubel aus elftausend Kehlen droht sie zu übertönen, auf halber Strecke haben Radiohead den Höhepunkt erklommen, „There There“ muss der beste Song der Welt sein, so fremd und vertraut klingt er, und dazu muss man noch nicht einmal wissen, dass die Briten den von Gillespie vorausgesagten Beat bei der Kölner Krautrock-Band Can entliehen haben, worauf sie selbst immer wieder gerne hinweisen.

    Aber nicht an diesem Montagabend. Yorke belässt es bei einigen Dankeschöns, schimpft kurz auf die „Daily Mail“ und Tony Blair und hält ab und an beide Daumen nach oben, als wäre er Paul McCartney. Vor allem aber lässt er sein Falsett erzittern, bedient zahlreiche Instrumente und tanzt in seiner eigentümlichen Rumpelstilzchenart über die Bühne. Die ist spektakulär erleuchtet, quadratische LED-Schirme hängen in immer neuen Formationen vom Bühnenhimmel, zeigen verfremdete Livebilder der einzelnen Bandmitglieder in Aktion, oder einfach einen grün glimmenden Matrix-Wald. Dass muss der digitale Dschungel sein. Oder sie glühen bis zum schmerzhaften Weiß, dann schweigt die nervöse Rhythmusmaschine und Yorkes Stimme schraubt sich in elegische Gefilde. Beim „Pyramid Song“, „Weird Fishes/ Arpeggi“ und natürlich am Ende von „Paranoid Android“, der großen Entfremdungshymne für alle, die in den 90ern zum Erwachsenwerden gedrängt wurden, und die prompt großflächig mitgesummt wird. Ein seltener Moment, denn Nostalgie gönnen Radiohead weder ihren Fans noch sich selbst, der Großteil der 24 Songs stammt vom aktuellen Album „The King of Limbs“ und vom 2008er Meisterwerk „In Rainbows“.

    Unruhe = Überlebensstrategie

    Stattdessen erlebt man eine Band, die immer neue Wege hin und weg zum Song ausprobiert, die sich in immer größere Umlaufbahnen um das ferne Zentrum Rockmusik wagt – „Idioteque“, zum Beispiel, die letzte, immer wieder kickende Zugabe, besteht fast nur aus einer geloopten Sequenz aus Greenwoods großem Analog-Synthesizer. Oder „Identikit“, ein neuer Song, nach einem italienischen Experimentalfilm benannt: Zuerst schlängeln sich nur Yorkes und O’Briens Stimmen zur kargen Schlagzeugbegleitung umeinander, es will kein Lied draus werden. Doch dann explodiert es in allen Farben des Regenbogens, kurz darauf singen wir schon mit und unsere Idee davon, woraus und wie man ein Lied basteln kann, hat sich um eine astronomische Einheit verschoben.

    Für Radiohead mag ihre Unruhe auch eine Überlebensstrategie sein. Wie sonst sollte man über drei Dekaden gemeinsam öffentlich miteinander musizieren, ohne zynisch oder drogensüchtig zu werden? Auch fürs Kölner Publikum macht sich die kreative Rastlosigkeit bezahlt, in einer Performance die mit Uhrwerks-Präzision abläuft, sich dabei aber von Unabwägbarkeit zu Verrücktheit zu Verblüffung bewegt, wie eine Klang gewordene Rube-Goldberg-Maschine.

    Kurz vor Schluss stimmt Yorke – Greenwood muss noch ein Effektpedal für „Everything In Its Right Place“ einstöpseln – R.E.M’s „The One I Love“ an. Ein Stück aus Radioheads Jugend, damals als vergiftete Liebeserklärung gemeint, heute reinen Herzens zurückgewidmet. Und wir lieben Radiohead. Sie klingen immer noch nach Zukunft.

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