Quelle: Radiohead im Konzert: Der Sound des Internet-Zeitalters | Kultur | ZEIT ONLINE


RADIOHEAD IM KONZERT
Der Sound des Internet-Zeitalters
Lichtblitze zerschreddern die Szenerie. Es pluckert, klackert und tackert, während sich Radiohead beim Konzert in Berlin tief in die Details ihres Zauberklangs versenken.
Dass sie durchkommen mit dieser Musik, mit diesem Pathos des Stillstands. Dass sie ihren erratischen Zauber in riesigen Arenen aufführen können und gesehen werden wollen von tausenden von Menschen, die dann selbst in eine Art Stille gezwungen werden. Weil auf der Bühne nichts passiert. Dass Radiohead nicht einen Song geschrieben haben, den eine halbwegs informierte Menschenmenge nachsingen könnte. Und das seit Jahren schon. Dass die fünf ehemaligen Kunststudenten trotzdem Maßstäbe setzen, ist einfach nur rätselhaft. Ist Zauber da das richtige Wort?
Oh, je. Radiohead. Seit die Briten um den Sänger Thom Yorke keine Rockband mehr sind, sondern hochkomplexe digitale Architekturen hinstellen, oftmals immerhin noch auf den Fundamenten dessen, was von der Rockmusik übrig blieb – nebulös verzerrte E-Gitarren – arbeiten sie an einer Art von Verschwinden. Das Rockstar-Pathos hat ihnen sowieso nie behagt, diese Überheblichkeit, mit der sich die psychisch Labilen in eine unantastbare Persona verwandeln. "I will sink and I will disappear / I will slip into the groove and cut me up and cut me up", singt Thom Yorke zum Auftakt des ersten von zwei Konzerten in der Berliner Wuhlheide am Samstag. Im Groove aufgelöst werden wie in einem Säurebad, zerschnitten werden von den Beats. Der Sänger, mit Vollbart und zum Zopf gebundenen Haaren, hat die Augen geschlossen, seine Stimme von so profanen Dingen wie Silben und Vokalen gelöst. Sie schwebt über allem, während der Rhythmus fleißig zerhackt wird. Neben dem Drummer Phil Selway setzt noch ein zweiter Schlagzeuger wilde Akzente, der Trip-Hop-Groover Clive Deamer. Und schließlich sorgt auch der Keyboarder Ed O’Brien am Bühnenrand für reichlich Unruhe an einem kleinen Drumset. Hat dieses Bemühen um den hohen Ton in einer derart verwirrenden Welt mit Schmerz zu tun?
Es ist unbegreiflich, woher Radiohead ihre Einfälle nehmen und was der Ausgangspunkt für Songs gewesen sein mag, die mit elektronischem Diodenpuckern einsetzen, von Signalen überschwemmt werden und schließlich zerbröseln. Man denkt nur: Wenn es eine Band gibt, die dem in Fragmente zersprungenen Internet-Zeitalter einen Klangbild gibt, dann ist es diese hier.
Wir sind Pixel
In den Bühnenhimmel hat sie quadratische LED-Flächen gehängt, ein blinkendes Mosaik aus Kameraperspektiven, die die Musiker einfangen. Sie setzen ein Ganzes zusammen, in dem nichts zusammenpasst. Wobei der Höhepunkt dieser optischen Täuschung bei Staircase erreicht ist. Das Stück ist Ausschussware. Während der Sessions zu ihrem jüngsten Album The King Of Limbs entstanden, fand es auf dem Album selbst keinen Platz mehr. Vermutlich, weil es dann doch ein bisschen zu deutlich mit Afropop-Anleihen spielt. Nun aber, unter dem blassen, kalten Mond der Berliner Spätsommernacht, zerschreddern Lichtblitze die Bühnenszenerie, und die Band scheint sich selbst in den Pixeln der LED-Kulisse aufzulösen.
Das ist grandios gemacht. Aber was will es uns sagen? Dass die Akribie, mit der sich Radiohead in die Details versenken, ein sinnvoller Ausweg aus der Überforderung ist, eine Chance den Überblick zu behalten: Bleibt bei den kleinen Dingen, sie ergeben am Ende ein Großes.
Das ist zumindest der Eindruck, den die eineinhalbstündige Messe dieser englischen Missionare der Ernsthaftigkeit hinterlässt. Mag auch nicht alles groß gewesen sein an diesem Abend – die Pausen etwa, die abrupten Brüche und durch Umbauten aufgenötigten Durchhänger, die mitunter harten Stimmungswechsel –, so erzeugen Radiohead doch eine ihr gesamtes neueres Werk überwölbende meditative Unruhe. Im Zentrum stehen dabei die 2011 auf King Of Limbs veröffentlichten Songs. Mit ihnen haben sich Radiohead einen weiteren Freiheitsgrad verschafft. Die Luftigkeit des Cool-Jazz verschmilzt in Bloom und Separator mit den Bliep- und Kratzgeräuschen der Maschinen.
Kontrollverlust oder Kunst?
Das Ungefähre, Vage, das Unterdeterminierte – es ist entweder ein Zeichen dafür, die Kontrolle über seine Mittel verloren zu haben, oder für große Kunst. Im Rolling Stone hat Musikerkollege Dave Matthews über Radiohead geschrieben, dass es die "Charakterstärke in ihrer Musik" sei, die sich der Kontrolle der Musiker entzieht. Vielleicht ist, dass die Musik auf ihre eigene, unentschlüsselbare Weise klüger ist als ihre Macher, auch der Grund, sich in ihrer Gegenwart mit so wenig zufrieden zu geben. Und ohne die aufmunternden Gesten eines Frontmanns auszukommen, der einem sagt, dass es richtig ist, genau jetzt genau an diesem Ort zu sein.
Man denkt ja immer, dass Musik, die nicht fürs Publikum gemacht ist, sich gegen das Publikum wendet. Aber das ist ein Irrtum, den Radiohead korrigieren. Und es ist herrlich, eines Besseren belehrt zu werden an diesem klaren, kühlen Abend, der einen fühlen lässt, dass bald der Frost kommt.